König Drosselbart; Interpretation
Die Eingangssituation
Ein König hatte eine Tochter die war wunderschön, aber auch übermütig, so dass sie einen Freier nach dem anderen abwies und Spott mit ihm trieb.
- Ein schönes Äußeres und ein garstiges Inneres. Für eine Märchenheldin ersteinmal ungewöhnlich, da Ihnen meist auch die innere, seelische Schönheit zu eigen ist. Die innerlich garstigen Frauen sind dann die Gegenspielerinnen wie die Stiefmutter bei Schneewittchen, oder die neidischen Schwestern bei Aschenputtel.
- Die Königstochter in dem Märchen "König Drosselbart" ist sehr ambivalent, die Erwartungen die ihre äußere Schönheit weckt entsprechen nicht ihrer inneren Entwicklung. Hierin besteht der Konflikt.
Da ließ der König ein Fest anstellen und lud alle heiratslustigen Männer ein sie wurden in einer Reihe dem Stand nach geordnet. Erst kamen die Könige, dann die Herzöge, Fürsten, Grafen und Barone, zuletzt die Edelleute, da wurde die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen.
- Der Vater führt seiner Tochter eine Rangordnung nach gesellschaftlichem Stand vor. Der Stand drückt "den gesellschaftlichen Wert" einer Person aus, sagt aber nichts über seine inneren Qualitäten.
- Man hat den Eindruck für die Königstochter ist dieses "Männerspalier" eine Farce, ein lächerliches heraufgeputztes Spiel, eine Partnerbörse, die sie negativ berührt.
- So wundert es nicht, dass sie an den Freiern nach Merkmalen sucht, die ebenfalls äußerlich und abwertend sind.
Besonders über einen gutherzigen König machte sie sich lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn krumm gewachsen war. Da sagte sie: "Ei der hat ein Kinn wie eine Drossel einen Schnabel" und seit der Zeit bekam er den Namen "König Drosselbart".
- Einer der Männer im Spalier, ein König ist gutherzig, er ist offensichtlich anders als die anderen, keine Marionette sondern verletzbar. Sie hat treffsicher ein Makel an ihm gefunden und seine empfindliche Seite getroffen.
- Es geht sogar soweit, dass das Makel mit einem Spitznamen, mehr noch mit einem Spottnamen tituliert wird der von der Öffentlichkeit übernommen wird.
- Ein körperliches Makel ist etwas besonders persönliches, und daher besonders zum persönlichen Verletzen und Demütigen geeignet. Der König trägt vielleicht den Kinnbart um sein "krummes" Kinn zu verdecken. Sie nennt ihn Drosselbart, das klingt nicht nur verletzend auch ein bisschen heiter, wie das Kinderlied "Amsel, Drossel, Fink, und Star und die ganze Vogelschar" und passt gar nicht schlecht zu der gesamten Situation, mit der Anwesenheit der herausgeputzten Edelleute und Könige.
Als der König sah dass seine Tochter nichts tat als über die Leute spotten, erzürnte er so, dass er schwor: "meine Tochter soll den ersten besten Bettler nehmen der über meine Tür kommt."
- Der Vater fühlt sich provoziert und verärgert, ist er doch selbst ein Mann, ein König, und verantwortlich für die von ihm geladenen Gäste. Alles was ihm wert ist, was er geschaffen, tritt sie mit Füßen.
- So kann man annehmen dass die Tochter mit dieser Aufführung genau ihren Vater meinte. Dass hier ein Vater-Tochter Konflikt aufbricht, sie lehnt den Vater und alles was von ihm kommt pauschal ab.
- Einen Schwur leistet man wenn man nicht mehr weiter weiß, wenn man verzweifelt ist und ein höheres Gericht anruft.
Eines Tages stand ein Spielmann unter dem Fenster und spielte. Als es der König hörte, sprach er: "Lasst ihn heraufkommen." Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen, verlumpten Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter, und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach: "Dein Gesang hat mir so wohl gefallen, dass ich dir meine Tochter da zur Frau geben will." Die Königstochter erschrak, aber sie musste ihn als Bräutigam anerkennen und die Trauung wurde vollzogen.
- Ein Spielmann, ein Bettler singt unter dem Fenster, hat ihn das Schicksal geschickt, erst am Ende des Märchens erfährt man, dass es König Drosselbart selbst ist. Er kommt zum Schloß zurück, ihm scheint die Königstochter nicht mehr aus dem Kopf zu gehen. Er ist ein König in Bettelsgewand, er hat die äußeren Attribute abgelegt.
- Er singt, nimmt er bezug auf seinen Spitznamen, die Drossel, die eine sehr gute Sängerin ist. Die Ohren lauschen, und schließt man die Augen ist es gleich ob ein Bettler oder König singt. Er wird ins Schloß gebeten, hat er mit seinem Gesang auch Eingang in ihr Inneres erhalten?
- Er bittet um eine milde Gabe und der König hält sich an seinen Schwur und gibt ihm seine Tochter zur Braut. An dieser Stelle mag man glauben zwischen König Vater und König Drosselbart
läuft ein abgekartetes Spiel, die Männer erteilen der jungen übermütigen Frau eine bittere Lehre. Das wäre ein patriachaler Schlag mit moralischem Gericht.
Doch kann man auch glauben dass er es aus Liebe tut, dass er den Weg mit ihr zusammen gehen möchte.
Denn das Märchen reicht tiefer, es ist die Suche nach Wahrheit, Liebe und einer Macht, die nicht aus Dünkel und materiellen Werte besteht sondern aus einer inneren, geistigen Größe. Es geht in diesem Märchen um die Wiedererlangung der Würde des Menschen und der Würde zwischen Mann und Frau.
Die Königstochter erschrak, aber sie musste ihn als Bräutigam anerkennen und die Trauung wurde vollzogen. Gleich darauf sprach der König zu seiner Tochter:"es schickt sich nicht dass du hier im Schloss bleibst, du kannst mit ihm nur fortziehen."
- Sie hat diese extreme Veränderung durch ihre Provokation herbeigerufen, aber nicht gewünscht. Der Schreck erinnert an Kinder, die etwas anstellen und plötzlich merken, dass es kein Spiel war, dass ihre Handlung Konsequenzen hat. Durch den Schreck wacht sie auf, aus einem Traum, einer Scheinwelt, das Spiel ist vorbei, es wird ernst.
- Was muß sie verlassen, die Kindheit, das Schloß, die königliche Familie, ihren Stand und Titel, von nun an ist sie nicht mehr Königstochter, sondern Bettelsfrau.
- Der Vater lässt seinem Zorn freien Lauf und bestraft seine Tochter mit Verstoßung und Erniedrigung. Die Königstochter hat den Weg nicht aus Überzeugung gewählt sie ist passiv, sie wird auf den Weg des Bettlers gezwungen.
Der Weg des Bettlers ist der Weg der Abkehr von materiellen Gütern hin zu geistigen Werten. Religiöse Ordensgründer, wie Franz von Assisi, Sohn eines reichen Tuchkaufmanns, hat sich von seinem Vater losgesagt. Er hat den materiellen Besitz abgelehnt und ist als Bettelmönch gewandert. Jesus von Nazareth war ein Besitzloser, die Bibel erzählt wie er einmal dazukam als im Vorhof des Jerusalemer Tempel Markt gehalten wurde. Er vertrieb die Händler und die Geldwechsler, dabei stieß er ihre Tische um und verschüttete das Geld der Wechsler mit den Worten: „Macht meines Vaters Haus nicht zum Kaufhaus!“ Siddhartha Gautama war ein Königssohn, der das Schloß und seine Laufbahn verließ um als Besitzloser durch Mitgefühl, Gewaltlosigkeit, und geistige Disziplin das Leid von den Menschen abzuwenden. Sein Weg war der Weg der inneren Erleuchtung, und er wurde zum Buddha, dem Gründer des Buddhismus.
Der Weg der Heilung und Selbstfindung
Wie am Anfang die Ambivalenz zwischen äußerer Schönheit und innerer "Garstigkeit" der Königstochter hervorsticht, wird nun der gegesätzliche gesellschaftliche Stand, vom hochstehenden, reichen König zum niedrigsten besitzlosen Bettelmann hervorgehoben.Da zog der Bettelmann mit der Königstochter fort unterwegs kamen sie zu einem Wald/Wiese/Stadt, fragte sie "Ach, wem gehört der schöne Wald/Wiese/Stadt? Sagte er: "Der gehört dem König Drosselbart." "Hätt’st du ihn genommen, so wär er dein." Sagte sie: "Ach ich arme Jungfer zart, hätt ich genommen den König Drosselbart."
- Es ist so dass sie die Größe und Schönheit dieser Landschaften zum ersten Mal bewusst sieht. Das ist bereits eine Veränderung ihres Blickwinkels, der vorher doch mehr auf die Makel und Schwächen gerichtet war. Mit dem dass sie die Größe und Schönheit aussen wahrnimmt, schafft sie sich auch mehr Größe und Schönheit im Inneren.
- Ihre Fragen, wem der Wald usw. gehöre zeigt; sie ist noch Königstochter, der Besitztum wichtig ist. Sie bedauert ihn nicht genommen zu haben und bemitleidet sich selbst.
Der Spielmann wurde ganz mürrisch: "Ich mag es nicht wenn du dir immer einen anderen Mann wünscht."
- Das ist ein typisches Beziehungsproblem anstatt sich mit ihrem Mann auseinanderzusetzen, versucht sie sich in eine Scheinwelt zu retten. Er ist ein Doppelagent, Drosselbart und Bettelsmann. Er klärt sie nicht auf sondern führt sie weiterhin an der Nase herum. Ist er ihr Lehrmeister, ihr Mann, ihr Vater und Vollstrecker. Es erinnert mehr an eine Eltern-Kind Beziehung als an eine gute Voraussetzung für eine Partnerschaft, .
"Ach, wem gehört dies elend kleine Häuschen?" Sagte er: "das Haus ist unser Haus, wo wir wohnen, mach nur gleich Feuer, stell Wasser auf und koch mir mein Essen." Die Königstochter verstand nichts vom Essen kochen und der Mann musste ihr nun mithelfen, so ging es leidlich. Anschließend legten sie sich ins Bett schlafen.
- Wie sie in dem Häuschen ist, ist sie wirklich in der Armut angekommen.
- Sie braucht seine Hilfe, und es ist das erstemal in dem Märchen, dass sie etwas Neues hinzulernt, Es sind die Basics des Überlebens. Feuer machen, Essen kochen, später flechten, spinnen und verkaufen. Ungewohnt und schmerzhaft.
- Auf der Partnerebene geschieht eine Annäherung. Sie sind aufeinander angewiesen und arbeiten zusammen. Sie legten sich in das Bett schlafen, das klingt funktional ist aber Nähe, auch wenn Details wie immer im Märchen ausgespaart werden.
"ich will einen Topfhandel anfangen und du sollst auf dem Markt die Ware anbieten und verkaufen." Das erstemal ging es gut, die Leute kauften die Ware und bezahlten was sie forderte, viele bezahlten und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Der Mann handelte wieder neues Geschirr ein, und sie saß an einer Marktecke und hoffte wieder auf guten Gewinn. Da kam ein betrunkener Husar daher geritten, mitten in die Töpfe hinein, so daß sie in tausend Scherben sprangen. Da fürchtete sich die Frau und traute sich nicht den ganzen Tag heim zu gehen und als sie endlich nach Hause ging, war der Bettelsmann auf und davon.
- Die Zusammenarbeit zeigt die ersten Früchte, das Verkaufen auf dem Markt ist erfolgreich.
- Der Erfolg ist nicht ihre Leistung, sondern ihrer Schönheit zuzuordnen. Es ist anzunehmen dass es Männer sind, die ihr die Töpfe abkaufen und dann stehen lassen.
- Partnerschaftlich gesehen mag ihn die Eifersucht plagen, als Husar wütet er und zerschmeisst Geschirr. Bis heute ein Ritual am Polterabend. Er kommt nicht mehr als Bettel- und Ehemann zurück, vielleicht ist er selbst über seinen Kontrollverlust erschrocken.
So lebte sie einige Zeit ganz armselig und in größter Dürftigkeit, da kam ein Mann und lud sie zu einer Hochzeit. Sie wollte sich allerlei von dem Überfluß heimbringen und eine zeitlang davon leben, sie tat also ihr Mäntelchen um, und nahm einen Topf darunter und steckte eine große lederne Tasche an. Auf der Hochzeit aber war alles prächtig, und vollauf, ihren Topf füllte sie mit Suppe und ihre Tasche mit Brocken.
- Das Alleinsein zwingt sie sich mit ihrer Situation zu arrangieren. Sie ist eine Bettelsfrau geworden, die in erster Linie an das Überleben denken muss.
- Die Hochzeit, das Fest, das Schloß und der Überfluß sind für sie nur noch eine Möglichkeit Essen zu organisieren. Sie hat das Leben einer Königstochter völlig abgelegt.
- Sie nimmt Suppe und Brotbrocken, nicht das Fleisch oder den Wein.
Sie wollte nun damit fortgehen, aber einer von den Gästen verlangte, sie solle mit ihm tanzen, sie sträubte sich aus allen Kräften, das half aber nicht, und sie musste mit fort. Da fiel nun gleich der Topf, daß die Supppe auf die Erde floß, und die vielen Brocken sprangen aus der Tasche. Als das die Gäste sahen entstand ein großes Gelächter und Spotten. Sie war so beschämt dass sie sich lieber 1000 Klafter unter die Erde gewünscht hätte, sprang zur Türe und wollte fliehen.
- Im Gegensatz zum Hochmut der allerersten Szene geschieht nun die Demutigung. Der äußere Glanz, die Musik, der Tanz, die standesmäßig gekleideten Hofleute, trifft auf das Bild der verschütteten Suppe und den springenden Brotbröckchen.
- Das ist der Tiefpunkt, das Ausmaß der Demütigung, wird mit den 1000 Klafter unter der Erde beschrieben, also lieber tod wie lebendig.
Auf der Treppe aber holte sie ein Mann ein, führte sie zurück und wie sie ihn ansah, da war das der König Drosselbart, der sprach ihr freundlich zu: "Ich und der Bettelmann sind eins und ich bin auch der Husar gewesen, der dir die Töpfe entzwei geritten hat; und das alles ist nur dir zur Besserung und zur Strafe geschehen, weil du mich ehedem verspottet hast, die bösen Tage sind vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern." Da kamen die Kammerfrauen und taten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof und wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart, und die rechte Freude fing jetzt erst an.
- Er fängt sie auf der Treppe ab, das beschreibt den Scheitelpunkt eines Konflikts "zwischen noch nicht gewonnen und schon verloren".
- Partnerschaftlich ist es oft buchstäblich der letzten Moment wo der Konflikt am höchsten Stand ist, und gleichzeitig die Liebe und der Wunsch nach einer einvernehmlichen Beziehung siegen.