Von einem der auszog das Fürchten zu lernen: Interpretation


Brüder Grimm

Es ist der von Wilhelm Grimm wohlgefeilte Titel eines Märchens. Darin sich viele "alte" Geschichten wiederfinden, vor allem lustige Geschichten, Schwänke vom Kartenspiel und Knochenkegeln, vom Spielhansl, der wie der Brandner Kaspar auch nicht davor zurückschreckt mit dem Teufel oder dem Tod zu spielen. Was ist der Einsatz, klar nichts weniger wie ein Leben, oder die Seele dieses Leben. Was ist der Gewinn, die Unverletzlichkeit, die Unsterblichkeit oder zumindest ein paar Tage, Wochen oder Lebensjahre herauszuschinden. Manchmal ist es auch der materielle Reichtum der eingehandelt wird, wie in dem Wilhelm Hauff Märchen "ein Herz aus Glas". In der Fassung der Brüder Grimm "von einem der auzog das Fürchten zu lernen" steckt das Ziel der Reise im Titel. Und so erreicht er am Ende seine Erfüllung.

Unter den Hausmärchen der Grimmbrüder findet sich auch ein, nicht nur im Titel, ähnliches Märchen "ein Königssohn der sich vor nichts fürchtet." Es ist auch eine Entwicklungsgeschichte über das Erwachsenwerden, aber es ist psychologischer und einfühlsamer.

Anfang und Ende finden zusammen, so schließt sich der Kreis des Lebens.

"Ach wenn mir nur gruselte, wenn mir nur gruselte." Das ist ein Mantra und der Anfang einer Reise an die Grenze zum Ungewissen. Wer zurückkommt, ist nicht mehr der Gleiche. "Ach was gruselt mir, was gruselt mir" endet das Märchens, wie bei einer Geburt erwacht er im nassen Bett, die kalten glitschigen Fische zappeln um ihn.

Doch ein Frauenmärchen?

Eine Frau führt ihn ins Leben ein.Ja es sind die Frauen, die die Kinder ins Leben bringen und das Leben schützen. Egal ob sie Dienerinnen oder Königinnen sind. Ihr tiefes Wissen über die Liebe, die Sexualität, die Körperlichkeit die auch unangenehme Gefühle wie das Grausen einschließen. So wird er so gut wie nocheinmal geboren. Und es ist zu vermuten, dass er sich nun dem Leben ganz zuwenden kann.

Dem Märchen, "von einem der auszog das Fürchten zu lernen" liegt ein revolutionärer Geist zugrunde.

Wenn sich einer also nicht fürchtet, dann ist er in gewisser Weise frei, frei alles zu tun und zu testen. Diese Freiheit ist revolutionär, überwindet veraltete Anschauungen. Wie z.B in der Medizin, wo ethische Fragen den Forschungsgeist immer wieder einschränkten. Z.B. das strikte Verbot Leichen zu sezieren. Oder für Frauen die Kenntnisse der Geburtenkontrolle anzuwenden.

Das Seelenheil zugesprochen, bekamen nur die, welche das herrschende Weltbild nicht in Frage stellten. Auch wenn es bereits naturwissenschaftlich bewiesen werden konnte, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Kosmos ist. Die verbreitete Angst vor dem Fegefeuer ließ viele "armen Sünder Ablassgelder zahlen, Beichten und Bekenntnisse ablegen um sich für das ewige Leben im Himmel freizukaufen. Dabei war die Angst ein gutes Mittel für die Mächtigen das Volk "lenkbar und dumm" zu halten und auzubeuten.

Gibt es heute noch ein zwingendes Weltbild?

Das gibt es, die kontroversen Antworten auf ethische Grenzen zeigen es deutlich. Z.B in der Forschung die Manipulation des menschlichen Erbgutes, wie weit darf der Mensch in die Naturgesetze eingreifen? Ein anderes Beispiel sind die Ausstellungen "Körperwelten" des Gunter von Hagen. Die Zurschaustellung von Leichen sind umstritten, die einen sehen in den plastinierten Leichen Kunst und ein einmaliges Lehrstück über den Körper, die anderen empfinden es als Leichenschändung.

Was heißt es heute, "das Fürchten zu lernen"?

Ist es die Suche nach Grenzerfahrung? Vorallem junge Menschen suchen nach wie vor den Kitzel, ausgelöst durch die Furcht, wie der Bungee jumper beim Blick in die Tiefe, Autoraser in der engen Kurve, oder bei der Einnahme von Drogen. und wer sich nicht fürchtet Es sind körperliche Grenzenerfahrungen, wie z.B. das Ertragen von extremer Kälte, Hitze oder Schlafentzug, oder psychischen Grenzerfahrungen, wie z.B. eine Nacht allein im Freien zu verbringen, ohne Geld die Welt zu bereisen oder sich lebendig in ein Totengrab zu legen.

Welche Grenzerfahrungen kennen Sie?

Im Märchen handelt es sich um die Grenzerfahrung mit dem Tod, der viele Gesichter hat, wie ein Küster als Gespenst verkleidet, Erhängte deren Körper nicht beerdigt wurden, unzählige Ungeheuern wie Katzen und Hunde mit glühenden Augen und brennenden Ketten, Kegeln aus Knochen und Totenköpfen, menschenähnliche Unwesen, die erschrecken und ihre grausamen Tötungsabsichten nicht verheimlichen. Bilder, die damals ähnliche Wirkung hatten wie heute ein vollanimierter Horrorfilm. Der Horror, das ist das Gruseln, das es zu lernen gilt.

Was ist das Grausen für eine Lust?

Der Mensch braucht wenig um sich zu grausen oder zu gruseln, dabei hilft ihm schon seine Phantasie. Nachts in der Dunkelheit, rund um den Friedhof, das Fühlen einer schleimigen Schnecke, ein fauliger Geruch, der Anblick eines aufgedunsenen toten Tieres. Das Grausen ist eine körperliche Sensation, ein Schauder auf der Haut, feuchte Hände, schwitzen, blinzeln, den Atem anhalten und erstarren oder schreiend davonlaufen, die Reaktionen sind individuell. Das Sehen von Horrorfilmen ist eine Auseinandersetzung mit dem Tod, eine Grenze, die Endgültigkeit des Lebens, der man sich durch solche Bilder und Erfahrungen annähert. Weil der Tod aber aus unserem heutigen Leben sehr weit ausgegrenzt ist, nimmt vielleicht diese Lust am Horror zu.

Was ist das für ein Junge, der auszieht um das Fürchten zu lernen?

Was an dem Jungen auffällt, er ist ein Außenseiter, sitzt in der dunklen Ecke während die anderen Geschichten erzählen und sich gruseln. Er ist weder lern- noch hilfsbereit, faktisch schwererziehbar. Weder Vater, noch Bruder oder die Leute haben Verständnis für ihn, im Gegenteil sie bedauern den Vater und sagen ihm noch viel Leid mit dem Jungen voraus.

Das ist nun wirklich eine schlechte Zukunftsprognose. Sie mag manche Eltern an die Sprechstunde mit dem Lehrer erinnern, wenn sie wegen ihrem missratenen Sohn in die Schule zitiert wurden. Natürlich gibt es gleichwohl schwierige Mädchen und wütende Lehrerinnen.

Was soll man nun mit so einem machen, der Vater im Märchen fragt ihn direkt; "was möchtest du lernen, womit dein Brot verdienen"? Antwortet der, "er möge das Gruseln lernen, denn das ist eine Kunst von der er nichts verstände." Diese Antwort ist doch gar nicht so dumm und ohne Sinn, wie es ihm nachgesagt wird, dem Jungen geht tatsächlich eine zentrale Kenntnis ab. Der Vater gefällt die Antwort nicht, natürlich nicht. Und beauftragt den Küster seinen Sohn zurechtzuhobeln. Ihn an die bestehende Normalität und deren Regelwerk anzupassen. Nachdem der Vater den Jungen beschuldigt mit dem Bösen unter einer Decke zu stecken, und den Küster mutwillig verletzt zu haben, versucht der Junge noch einmal sich zu rechtfertigen. Aber erfolglos. Der Vater verleumdet seinen Sohn; "sage niemals wer dein Vater ist und wo du geboren bist."

Das "Ausziehen" steckt im Titel des Märchens.

Der Auszug ein wirksamer und weitreichender Moment im Leben. Hier entscheidet sich nocheinmal die Richtung. Die Angst des Vaters, der Junge möge mit dem Bösen im Bunde sein ist nicht unverständlich. Viele Eltern fürchten um die Zukunft ihrer Kinder, wenn sie keine Kontrolle mehr über sie haben. Und es gibt ja tatsächlich sehr unglückliche Werdegänge von jungen Menschen.

Welche Gefühle hatten Sie beim Auszug? Gab es auch eine Idee die Sie vorantrieb?

Dem Jungen werden Herkunft und Wurzeln abgeschnitten umso wichtiger wir ihm die Idee das Gruseln zu lernen. Spätestens jetzt scheiden sich die Geister, für und gegen dieses Märchen. Keine schönen Bilder zieren das Märchen. Allein schon die vielen Toten. Wer tote Menschen sieht, erschrickt, denn das Leben ist unwiderruflich vorbei. Ein Toter hinterlässt, Trauer, Schuldgefühle manchmal auch Zorn, Hilflosigkeit und Angst.

Kinder und junge Menschen, können oft am Grab nicht weinen. Sie empfinden keine Gefühle. Der Tod ist von ihrem Leben zu weit weg. Sie beobachten neugierig die Trauernden und überlegen ob etwas mit ihnen nicht stimme. In unserer heutigen Zeit werden Alter, Krankheit und Tod aus dem alltäglichen Leben ausgesperrt, obwohl doch der Tod zum Leben gehört wie die Geburt zum Altern.

"Ach, wenn mir nur gruselte, ach, wenn mir nur gruselte." Mit diesen Worten läuft der Held vom Leben weg in die Arme der Toten. Er spricht mit ihnen, bedauert sie, schneidet sie vom Seil, reibt ihre Arme, wärmt sie und legt sie zu sich an das Feuer. Das Wiederbeleben von Toten ist anstrengend und wird nicht gedankt. Wie er am Feuer sitzt und sich ärgert, dass die Toten seinen Rat nicht befolgen und zulassen, dass ihre Lumpen Feuer fangen. Auf diese Weise lernt der Junge was Tod bedeutet, nämlich die Gleichgültigkeit gegenüber Kälte, Feuer und andere widrige Umstände.

Die Aufgaben werden schwerer und der Einsatz höher. Er steigert sich von einer auf drei Nächte wachen, die Toten werden zu Untoten und trachten nach seinem Leben. Doch er bleibt furchtlos, beim Spiel mit den Kegeln ist ihm auch das Verlieren einerlei, und der versprochene Gewinn scheint ihm nichts zu bedeuten. Nur sein Leben das verteidigt er, und die Wahl der Mittel wird brutaler, Schraubstock und Hobelbank kommen zum Einsatz und er wirft zappelnde Körper aus dem Fenster.

Auch wenn er unverwüstlich scheint, so gibt es einige Dinge, die ihn am Leben erhalten. Das Wichtigste ist das Feuer, es ist immer im Zentrum der Geschichte, im Saal, unter den Baum der Erhängten. Das Feuer spendet ihm Licht und Wärme. Die Wärme ist das wichtigste Kennzeichen der Lebenden, solange der Körper warm ist, solange ist der Mensch am Leben. Der Einsatz der Hobelbank und des Schraubstocks deuten auf einen echten Spezialisten unter den Geisterjägern.

Er beschreitet die Laufbahn eines Geisterjägers, englisch "Ghostbuster".

Ein Geisterjäger ist einer, der vor den Angriffen und Schrecken der Geister nicht davonläuft, sondern mit eigener Verwandlungsfähigkeit beeindruckt und letztlich selbst die Geister dirigiert. Eine eindrückliche Macht, die auch heute fasziniert.

Das war eine Rolle des Michael Jackson, damit gewann er die Begeisterung der Massen. Bis hin zur Hysterie, die ihn zu einer Art Gott erhoben haben. Nun wissen wir von Michael Jackson, dass der Tod durchaus sein Gefährte war, und er wahrscheinlich nur mit Hilfe von Drogen den hohen künstlerischen Standard und den körperlichen Einsatz über die Jahre erbringen konnte. Er starb an einer Überdosis von Drogen.

Sein Film "Ghost" zeigt Michael Jackson als Geisterjäger.

Ein gutes Zeichen für sein Überleben und seinen Fortschritt, sind die Freunde die er von Mal zu Mal gewinnt. Man erkennt sie daran, dass sie sich um ihn sorgen, der erste Weggefährte, der nach der Nacht unter dem Galgen nach dem Jungen schaut, die Wirtin, die seine wachen Augen mag und fürchtet er werde sie für immer schließen, der König, der Nacht für Nacht um das Leben des jungen Mannes bangt.

Der Held im Märchen verliert sich nicht im Machtbereich der Toten und Geister, er kehrt zurück ins Leben.

Und so erkennen wir vielleicht die ausserordentliche Gabe der jungen Frau Gemahlin, nebst ihrer Helferin. Die ihn von seinem Trip, seiner fixen Idee das Gruseln zu lernen ins Leben zurückbringen.