Zottelohr, die Geschichte eines Wildhasens
Von Ernest Thompson SetonZottelohr Zottelohr, oder Zottel war der Name eines jungen Häschens. Er verdankte diesen Zunamen einem angerissenen Löffel, den er aus seinem ersten Abenteuer davontrug. Zottelohr lebte mit seiner Mutter in Alt Olifants Moor, wo Ernest Seton Thompson die Ehre ihrer Bekanntschaft gemacht hatte und hundert kleine Abenteuer und interessante Begebenheiten aus ihrem Leben zusammentrug, die er schließlich niederlegte.
Menschen die mit dem freien Leben der Tiere nicht eingehend vertraut sind, werden ihm vorwerfen, er hätte ihnen zu viel Menschliches angedichtet, andere jedoch, die mitten in der Tierwelt leben und infolgedessen mit den Gewohnheiten und dem oft verblüffenden Instinkt vertraut sind, werden mir gewiß Glauben schenken.
Die Hasen besitzten natürlich keine Sprache, die wir Menschen verstehen, aber sie haben eine bestimmte Weise, ihre Gedanken durch ein System von Lauten, Zeichen, Bewegungen der Schnurrhaare und Gebärden kundzugeben und damit das Reden vollkommen zu ersetzen. Obwohl der Autor dieser Geschichte frei aus der Hasensprache in die Menschensprache übertragen hat, erzählt er nur was er den Hasen abgeschaut hat.
Zottel ahmte seine Mutter nach so gut es ging.
Stillhalten und nicht rühren! | Komm und folge mir! | Renn um dein Leben! |
Das rauschende Schilf am Teichesrand neigte sich und verbarg das warme, trauliche Nest, wo Zottelohrs Mutter ihren Einzigen versteckt hielt. Sie deckte ihn mit zarten Grashalmen warm zu und ihr letzter mütterlicher Rat war wie immer:
"Bleib stillliegen und halte den Mund, mag kommen, was da will!"
Zottelohr, obwohl im warmen Bettchen, dachte natürlich nicht ans Schlafen und musterte mit seinen klugen Äuglein das Stück seiner kleinen, grünen Welt, das sich über ihm auftat. Dort oben schimpften sich eine Elster und ein Eichkkätzchen zwei gar berüchtigte Eierdiebe, und einmal war Zottelohrs Heimatsbusch sogar der Mittelpunkt eines hitzigen Kampfes. Eine Goldammer erwischte einen blauen Schmetterling kaum sechs Zoll vor seiner Nase, und ein purpurrot und schwarz getüpfelter Marienkäfer, der mit seinen kulpigen Fühlern winkte, machte gravitätisch einen langen Spaziergang einen Grashalm hinauf einen anderen hinab, quer durch das Nest und gerade über Zottels Nase. Jedoch Zottelohr rührte sich nicht und überwand es sogar, zu blinzeln oder zu niesen.
Nach einer Weile hörte es ein fremdartiges Rascheln im Laub des nahen Dickichts, ein eintöniges, ununterbrochenes Rauschen, und obwohl er es bald hier, dort vernahm, kam es näher und näher, aber Tritte waren es nicht. Zottel hatte sein ganzes Leber ( er war dazumal drei Wochen alt) im Moore zugebracht, und dennoch hatte er niemals etwas Derartiges gehört. Seine Neugierde war natürlich aufs höchste gespannt. Die Mutter hatte ihm zwar befohlen, sillliegen zu bleiben, aber nur im Falle einer Gefahr, und dieses fremdartige Geräusch ohne vernehmbare Tritte konnte gewiß nichts Gefährliches bedeuten. Das leise Rascheln, ging dicht an ihm vorrüber, dann zur Rechten, dann wieder zurück und schien sich schließlich zu entfernen. Zottel wußte sofort, was zu tun sei, denn er war ja kein Baby. Es war seine Pflicht als Hase, zu erfahren, was es da gab. Er erhob langsam seinen weichen, rundlichen Körper auf den flaumbedeckten, kurzen Beinchen, schob den dicken Kopf über die schßützende Wand des Nestes und lugte neugierig hinaus in den Wald. Da er nichts besonderes entdecken konnte, machte er einen Schritt vorwärts und - befand sich Auge in Auge mit einer ungeheueren, schwarzen Schlange."Mama",Mama"kreischte Zottelohr in tödlichem Entsetzen, als das Ungeheuer auf ihn zuschoß. Mit aller aufwendbaren Kraft seiner schwachen Beinchen versuchte er zu laufen. Aber wie der Blitz hatte ihn die Schlange am Ohr und wickelte sich voll gieriger Lust um das hilflose kleine Häschen, das sie sich zum Mittagsmahl auserkoren.
"Mama, Mama"Keuchte das arme Kleine, als das grausame Ungetüm begann, ihn langsam zu Tode zu würgen. Bald, gar bald würde des Kleinen Schrei verstummt sein, aber da kam Hilfe in der Not; mit langen, atemlosen Sätzen kam durch den Wald - die Mutter. Nicht länger mehr eine scheue, furchtsame Häsin, stets bereit, auch vor einem Schatten davonzulaufen - die Mutterliebe war in ihr erwacht. Der Hilfeschrei ihres Einzigen hatte sie mit der Tapferkeit einer Heldin erfüllt, und - hopp, setzte sie über den ekelhaften Wurm. Beim Sprunge schlug sie mit ihren starken, scharfbewaffneten Hinterläufen kräftig aus und versetzte der Schlange einen solchen Schlag, daß sie sich vor Schmerzen krümmte und vor Wut zischte.
"Mama", wimmerte ganz schwach ihr Kleinod. Und die Mutter wiederholte ihre Sprünge wieder und wieder und schlug heftiger und ungestümer bei jedem Satz, bis das abscheuliche Gewürm Zottel Ohr fahren ließ und nach Atem schnappte, aber alles was es erwischen konnte, war ein Flöckchen Wolle. Der Häsin sausende Hiebe fingen an, ihre Wirkung zu zeigen; denn lange blutige Striemen waren in den Schuppenpanzer des schwarzen Ungetüms gerissen. Die Sache begann der Schlange ungemütlich zu werden, und indem sie sich für den nächsten Angriff vorbereitete, lockerte sich der eiserne Griff, mit dem sie das kleine Häschen umklammerte, das sofort aus der furchtbaren Umschlingung herauskroch und im Niederholz verschwand.
Außer Atem und zu Tode entsetzt, aber unverrsehrt bis auf sein linkes Ohr, das vom scharfen Zahn arg zerfetzt war. Die Mutter hatte damit alles erreicht, was sie wollte. Sie fühlte keine Neigung, um Ruhm oder Rache zu kämpfen; so verschwand auch sie im Wald und das befreite Häschen folgte ihrer weißen Blume wie einem Leuchtturm, bis sie in einer sicheren Ecke des Moores angelant war.
Mama Hase war eine treue, kleine Mutter, die ihr Söhnchen erzog, so gut sie es eben konnte. Das Erste, was sie ihm beibrachte, war "Stillliegen und Schweigen". Das mit der Schlange lehrte Zottel die tiefe Weisheit dieses Rates ganz begreifen. Er vergaß die Lehren niemals und handelte in späteren Tagen genau so, wie man es ihm angeraten, was sich in den meisten Fällen auch als das einzig richtige erwies. Das Zweite was er lernte war "Erstarren". Es ergibt sich ganz von selbst aus dem Ersten und wurde Zottel, sobald er ordentlich laufen konnte, in der Praxis beigebracht. "Erstarren" bedeutet einfach, sich nicht rühren und zur leblosen Statue werden. Sobald ein gut erzogener Hase entdeckt, das ein Feind ihm nachstellt, bleibt er wie und wo er ist und meidet ängstlich jede Bewegung. Dies ist ganz natürlich; denn die Bewohner des Waldes, die von der gleichen Farbe wie Erde, Baum und Strauch sind, ziehen nur dann das Auge des Verfolgers auch sind, wenn sie sich rühren. Begegnen sich nun zwei Feinde auf den einsamen Wald und Wildfaden, so ist der, der den Gegner zuerst erblickt, im Dorfteil, weil er sich durch"Erstarren" unsichtbar machen und dann den richtigen Zeitpunkt für Angriff oder Flucht selbst wählen kann. Nur wer mit dem Leben und Treiben des Waldes innig vertraut ist, ist imstande, die Bedeutung des Erstarrens ganz zu fassen. Jedes Tier im freien, grünen Ort und jeder Jäger muß es erst lernen, und die meisten Tiere bringen es zur einer erstaunlichen Vervollkommnung, doch keines konnte es Mutter Hase gleichtun. Sie lehrte Zottel dieses Kunststück an Beispielen. Wenn das weiße Kissen, das sie als bequemes Sitzpolster immer mit sich trug, durch die Waldung dahinflog, hopste Zottelohr binterher, so schnell er konnte, um wenigstens annähernd Schritt zu halten, doch wenn die Mutter plötzlich anhielt und "erstarrte", tat er, veranlaßt vom natürlichsten Nachahmungstrieb, genau das Gleiche.
Alt Olifants Moor war ein unwirtlicher Waldzug, voll von Dorngestrüpp und jungem Nachwuchs, mit einem morastigen Teich und von einem Flusse durchquert. Ein paar alte Veteranen des Hochwaldes waren noch stehen geblieben, und einige noch ältere Baumstümpfe lagen im Unterholz umher wie Grabsteine. Die Gegend im Umkreis des Teiches war von der weidenbewachsenen, schilfigen Beschaffenheit, Die trockeneren Streifen waren überwuchert mit wilden Rosen und jungen Bäumchen, und der äußerste Gürtel des Ganzen, dem sich das freie Feld anschloß, bestand aus schlank gewachsenen, biegsamen, jungen Fichten, deren frische grüne Nadeln dem einsamen Wanderer einen erfrischenden, balsamischen Duft zusandten. Im weiten Umkreis dehnte sich das freie Feld, und die einzigen Wildpfade, die jemals die Waldungen durchkreuzten, waren die eines ganz gewöhnlichen, gewissenlosen Fuchses, dessen festes, unterirdisches Raubschloß nur allzunahe lag. Die Hauptbewohner des Moores waren Zottelohr mit seiner Mutter, das war ihre Heimat. Hier lebten sie ihr anspruchsloses Hasenleben, und hier war es, wo Zottelohr die Erziehung genoß, die ihn zu einem tüchtigen Hasen machte, der dem Ernst des Lebens mit Charakter entgegentrat.
Die Häsin hatte nur diesen einzigen Sprößling, und Zottelohr genoß infolgedessen ihre ungeteilte Liebe und Pflege. Er war ein außergewöhnlicher flinker, starker und kluger Junge, das Glück lächelte ihm, und so entwickelte er sich zu einem wahren Prachthasen. Die Mutter hielt ihren Sohn beständig an, die Geheimnisse der Waldeskunde gründlich kennenzulernen, zu unterscheiden, was gut zum essen und zu trinken und was fröhlich sei. Tag für Tag mühte sie sich ab, ihn zu belehren und zu einem tüchtigen Hasen heranzubilden und trichterte in seinen Kopf hunderte von Plänen, Kniffen und Schlichen, die ihre eigene Erziehung sie gelehrt. So rüstete sie Zottel mit einer Bildung aus, mit der als Mann ins Leben treten konnte. Dicht neben der Alten im Kleeacker oder in Dicklicht konnte man ihn würdevoll fißen und lehren und beobachte, wie er ihr nachahmte, wenn sie sich die Nase putzte, oder dann und wann ein paar Hämlchen aus ihrem Maule zupfte und an ihren Lippen leckte, um sicher zu gehen, das er auch das gleiche Futter bekam wie sie. Dann lernte er, wie man mit den Ohren mit den Pfoten glatt streichen und den Rock ausbürsten müsse, und wie man die Haarflocken aus Weste und Socken entfernt. Auch wußte er bald, daß die Tautropfen der wilden Rosenblätter das einzig anständige Getränk für Hasen sind; den Wasser, irgendeine schädliche Beimischung haben. Das waren die Dorstsudien zur Waldeskunde, der ältesten aller Wissenschaften. Sobald Zottelohr groß genug war, um ohne Begleitung ausgehen zu können, machte ihn seine ‚Mutter mit dem Geheimnis der Telegraphie bekannt. Die Hasen pflegen sich gegenseitig Signale zu geben, indem sie mit den Hinterläufen aus den Erdboden klopfen, und da der Schall auf der Erde bekanntlich sehr weit trägt, kann man einen Schlag, wenn man das Ohr dem Grunde nähert, wenigstens hundert Meter weit vernehmen. Nur haben die Hasen ein ungemein scharfes Gehöhr und sind imstande, das Klopfen eines Ihrigen zweihundert Meter weit zu hören, eine Entfernung von einem Ende von Olifants Moor bis zum anderen.
Ein einmaliges Klopfen bedeutet "Paß auf" oder "Erstarre".
Ein langsames Poch Poch "Komm".
Ein hastiges dreimaliges Klopfen "Lauf ums liebe Leben".
An einem wunderschönen Morgen, als sich die Eichelhäher in den Zweigen zankten, ein sicheres Zeichen, daß keine Gefahr zu befürchten war, begann Zottel dieses neue Studium. Mutter Hase gab durch Anlegen der Löffel das Zeichen zum Niederlegen, dann lief sie weit hinweg in das Dickicht und telegraphierte "Komm" Zottel setzte sich in Trab, aber konnte sie nicht finden: er klopfte und wartete vergeblich auf eine Antwort. Aufmerksam umherschnüffelnd, fand er ihre Fußspur, und dieser Führerin folgend, die alle Tiere sicher leitet, den Menschen jedoch unbekannt ist, arbeitete er Sich vorwärts und fand die Mutter glücklich in dem Versteck. Das war seine erste Übung im Aufspüren, und dieses Wechselspiel von Suchen und Finden wurde zur Schulung für für manch ernsthaften Fall in seinem späteren Leben. Schon ehe man den ersten Lehrkurs beendet hatte, war er Meister aller Kniffe und Winkelzüge, die zum Leben eines Hasen Bedingung sind, und in vielen bewies er außergewöhnliches Talent, in manchen sogar wirkliches Genie.Die alte Frau legte ihr Bündel auf den Rücken des Pferdes, und sie liefen weiter. Das Pferd lahmte und sie kamen noch langsamer voran. Er war Sachverständiger im Unterscheidend der Bäume und Pflanzen, ein wahrer Künstler in Seitensprüngen und im Erstarren. Er konnte jedes Hindernis mit Eleganz nehmen, jeden Wind ausnutzen und sich so natürlich tot stellen, daß er kaum noch neuer Kunstgriffe bedurfte. Ohne alle Vorübung wußte er genau, wie man sich die dornigen Rosenbüsche zunutze macht, der ihm Schutz gewährten, aber ihn vor den größeren Verfolgern mit ihren spitzen Dornen verteidigte. Seinen Verfolgern Sand in Augen und Nase zu werfen, war sein Lieblingsspiel, er konnte kunstgerecht ausbiegen, über Zäune setzen und Kreise beschreiben. Aber bei alledem vergaß er niemals, das "Erstarren" und "Zusammenducken" der der Anfang aller Weisheit ist. Eines Tages kam Ranger, Otifants Jagdhund gelaufen.
"O Mutter, da ist er schon wieder, jetzt muß ich mich einmal richtig auslaufen!"
"Du bist zu frech Zottel, mein Sohn"sagte die Häsin.
"Aber, Mutter, das ist doch solch ein Spaß, diesen dummen Hund zu necken. Wenn er mir zu dicht kommt werde ich schon klopfen, und dann kannst du kommen und ihn etwas auf Seitenwege führen, während ich für das weitere Rennen etwas Luft schnappe."Dann hopste er aus seinem Versteck mitten in Rangers Weg. Der sofort die Verfolgung aufnahm und Zottelohr nachsetzte. Bis dieser müde wurde und der Mutter ein Klopfzeichen machte:
"Klopf Klopf für KOMM".Das veranlasste sie sofort zum Einsatz herbeizueilen. Dann als die Häsin müde war
"Klopf Klopf für KOMM,"übernahm wieder Zottel. Er beschrieb einen Zick Zack lauf, das der Hund alle Mühe hatte seiner Fährte zu folgen und der Hase einen großen Vorsprung gewann. Dann lief er ein Stück auf der eigenen Fährte wieder zurück und sprang auf einen umgefallenen Baumstamm. Dort oben erstarrte er und wartete ruhig das Weitere ab. Der Jagdhund war mühsam der Zick Zack Fährte gefolgt bis er an dem Punkt anlangte, wo Zottel umgekehrt war. Ranger stand vor einem Rätsel und war gezwungen geschäftig hin und her zulaufen, um auf den richtigen Pfad zu kommen. Größer und Größer wurden seine Kreise bis er schließlich gerade unter dem Baumstumpf vorbeikam, auf dem Zottelohr sich niedergelassen hatte. Aber da war keine Gefahr, denn an einem kalten, windstillen Tage wird die Witterung kaum nach unten getrieben, und da Zottel sich nicht muckste und mit keiner Wimper zuckte, lief der Hund arglos vorüber. Wieder näherte sich der Verfolger dem Baumstumpf, und diesmal vom dem tieferen Ende. Er hielt an, beschnüffelte es und dachte bei sich:
"Wahrhaftig, das riecht nach Hase!"Die Witterung war schon kalt und halb verwht, aber nichtsdestoweniger bestieg er den Stamm. Es war eine harte Probe für Zottelohr, den mächtigen Hund schnüffelnd den Baumstamm entlang kommen zu sehen, aber seine starken Nerven ließen ihn nicht im Stich. Der Wind war günstig, und er hatte den festen Vorsatz gefaßt, mit einem kühnen Satze das Weite zu suchen, sobald Ranger den halben Weg nach oben zurückgelegt haben würde. Aber so weit kam es nicht. Ein gewöhnlicher, schmutziger Dorfköter würde den Hasen sofort entdeckt haben, doch nicht der edle Jagdhund; er sprang vom Baumstumpf herab und Zottel war Sieger.
Zottelohr war ein junger erwachsener Hase und zog mit seiner Mutter Tag für Tag durch das Schilf. Der Winterschnee war ganz geschmolzen und das Wetter sonnig und warm. Mutter Hase taten leicht die Knochen weh und war beschäftigt, ein Heilkraut zu suchen. Während Zottelohr sich auf einer Böschung an der Ostseite sonnte. Ein geschäftiges Geräusch, von Olifants Farm trug der Wind zu Zottel. Und mehr noch der liebliche Duft, der mit dem Rauch herüberzog, gab Zottelohr kund, daß Olifants Vieh gerade mit Kohlblättern gefüttert wurde. Der Mund wässerte ihm beim Gedanken an dieses Göttermahl, und er blinzelte neidisch hinüber, als diese vielverheißenden Gerüche ihn in die Nase zogen: denn Kohl war sein Leibgericht. Aber er war gerade in der vorhergehenden Nacht im Hofe gewesen, um einige mundvoll Klee zu holen, und kein kluger Hase kehrt zwei Nächte hintereinander nach dem gleichen Futterplatz zurück. Deshalb tat er das klügste was er tun konnte, und wählte sich ein Bündel Heu zum Abendbrot, das der Wind von einem Schober heruntergeblasen hatte.
Später, als er sich zur Ruhe begeben wollte, gesellte sich auch die Mutter zu ihm, die erst ihre Arznei und dann ein kleines Mahl von süßen Birkenreiser an der Sonnenbank eingenommen hatte. Mittlerweilen hatte sich die Sonne davongemacht, um anderswo ihren Geschäften nachzugehen, und all ich strahlendes Gold hatte sie mit sich genommen. Drüben im Osten schob sich ein dicker, schwarzer Vorhang empor und verdunkelte, langsam höher und höher steigend, den ganzen Himmel, verbarg sorgfältig alles Licht und ließ die Welt in trauriger Dunkelheit und Öde zurück. Dann erschien, die Abwesenheit der Sonne schlau benützend, ein unheilstifter auf der Szene und begann Unruhe und Aufruhr zu brauen - der Wind. Die Luft wurde kälter und kälter, und es war unbehaglicher, als wenn die Erde noch mit Schnee bedeckt gewesen wäre. "Das ist aber ungemütlich kalt heute abend"; sagte Zottel "wenn wir doch unseren alten Reisighaufen hätten". Ja, Ja erwiderte die Mutter, "das wäre eine Nacht für unsere Höhle unter der Fichtenwurzel, aber da wir nicht wissen, ob der Otter sich noch in der Gegend herumtreibt, ist es nicht sicher dort." Zottel und seine Mutter begaben sich schließlich nach der Südseite des Teiches, wählten hier einen Reisighaufen zum Nachtquartier, krochen darunter und ließen sich für die Nacht häuslich nieder. Ihre Nasen richteten sich gegen den Wind, jedoch in verschiedenen Richtun so daß sie im Falle einer nächtlichen Störung nach entgegengesetzten Seiten entfliehen konnten. Der Sturm blies mit jeder Stunde schärfer und kälter, und um Mitternacht begann ein feiner eisiger Schnee in den dürren Blättern zu rasseln und sich durch die kahlen Zweige einen Weg zu bahnen.
Es schien eine ungünstige Nacht für Jagdabenteuer, aber der alte Fuchs von Springfield war los. Gerade mit dem Winde kam er im Schutze des Dickicht daher, und das Unglück wollte, daß er die Richtung auf den Reisighaufen zu nahm, wo er sofort die schlafenden Hasen witterte. Einen Augenblick blieb er stehen, dann kam er langsam und kriechend auf den Haufen zu, unter dem er Mutter und Sohn nun sicher zu haben glaubte. Das Geräusch des Windes ermöglichte es ihm, ganz dicht heranzukommen, bis die Mutter vom leisen Rascheln eines trockenen Blattes unter seinem tastenden Tritte erwachte. Sofort berührte sie Zottelohrs Schnurrhaare , und beide waren wach und munter, gerade als der Feind sich zum Sprunge anschickte. Der alte Schlaukopf hatte nicht berechnet, daß die Hasen immer auf ihren Läufen zum Sprung bereit schlafen: denn sofort flogen sie hinaus in den wütenden Sturm. Der Fuchs verfehlte die Mutter bei seinem Sprunge, aber er nahm die Hetze hinter ihr her gleich mit dem Eifer eines ehrgeizigen Rennpferdes auf, während Zottel nach der entgegengesetzten Seite entfloh.
Es gab nur einen Weg für die Häsin, die gegen den Wind und ums Leben galoppierte. Sie gewann einen kleinen Vorsprung, indem sie den Sumpf kreuzte, der den Fuchs nicht trug, bis sie am Ufer des Teichs stand. Da gab es keine Wahl mehr, vorwärts mußte sie."Plitsch Platsch,"ging es durch das hohe Schilf und dann mit einem Satze ins tiefe Wasser. Hinterdrein sprang auch der Fuchs, aber das Wasser war doch etwas zu frisch für Reineke, und der wendete wieder um. Die Häsin, der nur ein Weg frei blieb, arbeitete sich durch das Schilf ins offene Wasser uns strich kräftig aus, um das andere Ufer zu erreichen, aber sie hatte einen starken Gegenwind zu bekämpfen, die kurzen Wellen schlugen eisigkalt über ihrem Kopf zusammen, und das Wasser war voll Schnee, der ihr den Weg versperrte, wie Treibeis. Die dunkle Linie des rettenden Ufers schien sich weiter und weiter zu entfernen, und wer konnte es wissen, möglicherweise lag der gierige Fuchs dort drüben auf der Lauer. Sie legte die Ohren flach an, um dem Winde möglichst wenig Widerstand zu bieten, und schwamm rascher vorwärts, gegen Sturm und Flut. Nach einer langen, mühseligen Reise durch das kalte Wasser hatte sie beinahe das Schilf des anderen Ufers erreicht, als eine feste Masse treibenden Schnees ihr den Weg versperrte. Der Wind auf der nahen Uferbank machte ein unheimliches Geräusch, das dem Heulen des hungrigen Fuchses ähnlich kam. Das raubte ihr allen Mut und alle Kraft, und sie wurde weit zurückgetrieben, ehe sie sich von dem dahinflutenden Hindernis freimachen konnte. Wieder strich sie aus, doch langsamer immer langsamer, und als sie schließlich den Schutz des hohen Schilfs erreicht, waren ihre Glieder erstarrt, ihre letzte Kraft verbraucht, ihr tapferes kleines Herz begann langsamer zu pochen, und es war ihr ganz gleich, ob der Fuchs ihrer wartete oder nicht. Sie fing an unsicher zu werden, ihre schwachen Stöße brachten sie nicht länger landwärts, und das Eis, das sich um sie herum auftürmte, machte ihr ein vorwärtskommen dazu unmöglich. Die erstarrten Glieder versagten den Dienst, die kleine, flaumbedeckte Nase wackelte nicht mehr nervös hin und her, und die treuen braunen Augen schlossen sich zum ewigen Schlafe. Aber kein Fuchs wartete, um sie mit gierigen Zähnen zu zerreißen.
Zottel war dem ersten Ansprung des Verfolgers entflohen, und als er sich wieder etwas vom Schreck erholt hatte, kam er zurückgelaufen, um den Erzfeind irrezuleiten und damit der armen Mutter zu helfen. Er traf den alten Fuchs auf dem Wege nach der anderen Seite des Teiches, lockte ihn weit hinweg und entließ ihn mit einer blutenden Wunde von einem Stacheldrahtzaum am Kopfe. Dann kam er zum Ufer, suchte und schnüffelte umher und klopfte, aber all sein Suchen war vergeblich, die kleine Mutter war nirgends zu finden. Er sah sie niemals wieder, und niemand konnte ihm Auskunft geben, wohin sie gegangen: denn sie schlief den letzten Schlaf in den eisigen Armen ihres Freundes, des Wassers, das nichts ausplaudert und keine Spuren hinterlässt.
Arme kleine Mutter! Eine wahre Heldin war sie gewesen. Sie war eine tapfere Streiterin im Kampf ums Dasein, und von dem gleichen Fleisch und Blut war Zottelohr, sie lebte in ihm weiter.In einem einzigen Jahr verwandelte sich das Moor in eine undurchdringliche Wildnis neue Bäumchen und Dornensträucher wuchsen, und zerrissene Stacheldrähte bildeten zahllose Schlupfwinkel, die Hunde und Füchse nicht zu stürmen wagten. Und dort lebt Zottelohr noch heute, er ist ein großer und starker Hase geworden und fürchtet niemand. Eine zahlreich Familie nennt er sein eigen und ein hübsches, braunes Weibchen, dass er sich holte, ich weiß nicht woher. Dort werden er und seine Kindes Kinder gewiß noch viele Jahre hausen, und dort kann man sie an sonnigen Abenden beobachten, wenn man ihre Signale kennt und sie richtig anzuwenden weiß.