Der Machandelbaum (Der Wacholderbaum)
Interpretation
Die Märchen "van den Machandelboom" und "van den Fischer und siine Fru" sind nach Philipp Otto Runge plattdeutsch aufgeschrieben. Und von den Brüder Grimm in den Kinder- und Hausmärchen mundsprachlich übernommen worden. "Philipp Otto Runge" lebte von 1777 - 1810, er war ein junger romantischer Maler und Künstler und mit den Brüder Grimm befreundet.
Die Volksmärchen sind mundsprachlich erzählt worden, und so kommt die mundsprachliche Schreibweise dem Märchen näher.
Was ist das Thema im Märchen "von dem Machandelbaum".
- Es ist ein Krimi, ein Mord, im geheimen "trauten" Heim wird ein Kind, ein zukünftiger Erbe getötet. Die Schuld wird von der Täterin auf ihr Kind gewendet. Anschließend wird der tote Körper des Kindes nahezu vollständig entsorgt.
- Es ist ein Gerichtsfall der von oberster Instanz gerichtet wird. Für die "böse Mutter" gibt es die Strafe, für das Opfer ein neues Leben, für die Unschuldigen und Leidtragenden, Vater und Tochter Anerkennung und Geschenke.
- Es ist die Geschichte einer Patchworkfamilie, damals Stieffamilie. Eine verstrickte Familiengeschichte, zwischen dem Mann, seiner ersten und zweiten Frau, dem Kind aus erster Beziehung, und dem Kind aus zweiter Beziehung.
- Es ist eine heilige Geschichte, denn sie erzählt von Wundern, dem Wunder einer geistigen Empfängnis und dem Wunder der Wiedergeburt des getöteten Erstgeborenen.
Der Machandelbaum
Der Machandelbaum ist Schauplatz, und Zentrum des Märchens. Es ist ein immergrüner Lebensbaum, in ihm vollzieht sich Geburt, Tod und Wiedergeburt.Der Machandelbaum ist Richter, Grabstätte, Geburtshelfer und großer Zauberer zugleich.
In ihm steckt die ganze Kraft der Pflanzen, die älter, weiser, mächtiger sind, wie all das was Menschen vollbringen können.Seine Wurzeln reichen tief in den Schoß der Erde, wo auch die Knochen der Ahnen ruhen. Bei den Kelten gab es die Traditon, dass die Ahnen in den Bäumen wohnten, bei den Kelten waren die Eichen heilig. Unter dem Machandelbaum sind es die Knochen der ersten Frau. Sie wacht wie ein Baumgeist über den Sohn. Wie im Märchen vom Aschenputtel, wo die Seele der Mutter im Haselnussbaum über die Tochter wacht.
In den 9 Monaten und 9 Monden, von der Befruchtung bishin zur Geburt des eingeborenen Sohnes, geschieht im Baum, wie in der Frau, ein Verwandlungsprozeß. Die Frau ist in den Kosmos, in die Natur eingebettet.Die Zweige des Baumes, sind jeden Frühling jung und biegsam, wie Arme, in ihnen findet der Baum seinen Ausdruck wie Freude, Zuspruch und Liebe.
Wo Leben und Freude ist, ist auch Tod und Bitternis. Die Frucht des Wacholderbaums ist prall gefüllt, ihr Genuss ist bitter und herb wie das Schicksal. Durch ihren Genuss wird die Frau krank und traurig. Sie sieht ihren Tod voraus. Sie bittet unter dem Baum begraben zu werden, der Baum und sie werden eins.
Das Märchen erzählt, dass am Baum Feuer hochsteigt und qualmt, das ist wie eine räuchernde und dämonaustreibende Reinigung.Die Figuren im Märchen:
Die Mutter und die Stiefmutter stellen im Machandelbaum zwei Extreme dar, die gute und die böse, die "heilige" und die "teuflische" Mutter. Das ist die Art der Märchen, ein Kunstgriff, dass sie die guten und die schlechten Anteile, die in jedem Menschen innewohnen strikt trennen.Die gute Mutter.
- Die erste Frau ist schön und gut, sie ist mit ihrem Mann glücklich.
- Sie sind kinderlos, wenn ein Märchen mit Kinderlosigkeit beginnt, (Dornröschen), kündigt sich bereits ein "besonderes Kind" an.
- Wie bei Schneewittchen ist es Winter, die Zeit wo die Natur sich zurückgezogen hat und das Land unter einen weißen Schneedecke ruht. Ein Bild der Unfruchtbarkeit der Frau. Da ist der immergrüne Machandelbaum ein starkes Lebenszeichen.
- Sie sticht sich in den Finger und blutet. Es verbindet sich das rote heiße Blut, der Lebenssaft, mit dem kalten weißen Schnee, der rein ist. Und genauso ein Kind wünscht sie sich, lebendig und rein.
- Die Empfängnis ist eine Art Geist- oder Wunschempfängnis.
- Die Mutter stirbt bei der Geburt, sie hat ihre ganze irdische Kraft dem Kind gegeben. Das Märchen erzählt, dass sie in Freude stirbt, Ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Sie lässt sich unter dem Machandelbaum begraben, ihr Geist, ihre Seele ist im Machandelbaum, sie beschützt ihr Kind über die allmächtige Kraft des Baumes.
Die böse Mutter
- Sie wird im Märchen nicht beschrieben, auch ihre Beziehung zum Mann nicht.
- Sie treibt die Handlung voran. Ohne sie wäre dieses Märchen bereits nach dem ersten Abschnitt zu Ende. Sie stellt die Prüfungen, an denen die anderen sich messen und wachsen können.
- Sie ist die zweite Frau des Mannes, und ihr gemeinsames Kind ist ebenfalls das 2. Kind. Sie ist also auf der 2. Rangstelle.
- Sie ist immer im Haus, Küche, Kammer, Tisch, sie scheint keine Beziehung zu dem Hof und dem Baum zu haben. Das ist das Bild einer Frau, deren Geist auf das "häusliche" beschränkt ist, die nicht darüberhinaus denkt. Sie denkt materialistisch, nicht ideell.
- Sie fühlt sich und ihr Kind in der Erbfolge benachteiligt. Gefühle wie Eifersucht, Neid, Hass oder Geldgier bemächtigen sich ihrer. Sie zeigt ihre Gefühle nicht offen sondern verdeckt, sie piesackt und schubst den Stiefsohn, überall steht er ihr im Weg. Der Mord ist kurzfristig geplant, und eine Impulstat.
- Nicht der Tod des Jungen besorgt sie, sondern die Schuld die sie auf sich geladen hat. Die Schuld auf ihre Tochter abzuwälzen zeigt, dass sie ihre Tochter benutzt, als wäre es ein Eigentum von ihr.
- Die Stiefmutter sieht darin vielleicht eine Genugtuung für ihre Benachteiligung als Frau zweiten Ranges. Auch in der griechischen Mythologie, tötet Hera aus Eifersucht und Neid Zeus Lieblingssohn, Zagreus, und lässt Zeus unwissentlich sein Fleisch essen.
- Im Haus fühlt sie die Bedrohung nahen, es ist das schlechte Gewissen, das sie verfolgt. Sie selbst wünscht sich lieber unter die Erde, als die Schönheit des Vogels, seine Geschenke, das Licht, den Gesang wahrzunehmen. Was sie raustreibt ist die Unruhe und Hitze ihrer Schuld. Wenn sie am Ende durch die Tür nach draussen geht, ist es das erste und einzige Mal, dass sie im Märchen unter freiem Himmel steht. Es ist insgeheim ihr Wunsch, dass die Tat ans Licht kommt und gerichtet wird.
- Durch das Gewicht eines Mühlsteins wird sie erdrückt, so schwer wie der Mühlstein wiegt auch ihre Schuld.
Am Ende sind beide Mütter tot. In gewisser Weise werden die beiden Extreme, die Heilige und die Teuflische im Tod wieder zusammengeführt. Mit dem Tod der ersten Frau kommt der Junge ins Leben, mit dem Tod der zweiten Frau wird der Junge wiedergeboren.
Der Junge
- Der Erstgeborene ist so weiß wie Schnee und so rot wie Blut. Er ist in gewisserweise ein Kunstwerk, erschaffen durch einen wahrgewordenen Wunsch.
- Er wird herumgeschubst, er ist nirgenwo sicher, er weiß vor Angst vor der Stiefmutter nicht wo er zu hause ist. Er ist noch nicht in dieser Welt angekommen.
- Die Stiefmutter schlägt ihm mit der Kante der Apfelkiste den Kopf ab, der rollt in die Apfelkiste. Liegt unter den Äpfeln. Wie eine Baumfrucht, das erinnert an seine vorgeburtliche Zeit, wo der Baum sein Lebenspate war.
- Der Kopf wird ihm mit dem weißen festgepressten Tuch um seine Wunde wieder aufgesetzt, seine Haut ist weiß und blutleer, und im Kontrast zu dem roten Apfel in der Hand.
- Er wird ein zweites Mal durch die Schwester geköpft. Das Köpfen trennt den Kopf vom Leib. Symbolisch ist es das Trennen von Geist und Körper.
- Der Körper des Jungen wird zerhackt und zerstückelt, gekocht und vom Vater unwissentlich gegessen. Hier geschieht im Detail die Trennung von dem "Geistigen" und dem "Fleischlichen". Und das Fleisch wird nicht vergeudet, es wird durch den Vater wieder zurückgenommen, einverleibt.
- Die Knochen, die Lebensessenz, liegen unter dem Tisch. Kein heiliger Ort, eher ein Ort der Verwüstung und Bluttat.
- Eingebettet in Marlenchens Liebe kommen die Knochen des Bruders an den Ort der Verwandlung. So wurden die Knochen der Heiligen, die oft einen Märtyrertod erlitten haben, eingesammelt und an einen heiligen Ort gebracht. Viele Kirchen stehen auf den Gebeinen von Heiligen. So z.B die Paulskirche im Vatikan die auf dem Grab des Apostel Paulus steht.
- Die Knochen werden verwandelt in Energie, Feuer und Qualm, die Seele des Jungen steigt über den Stamm auf, hinein in die Zweige, die sich hin und herbewegen bis in die feurige Spitze.
- Die Schönheit des Vogels, sein buntes Gefieder, wie er sich aus den Flammen hervorschwingt, sein Gesang sind wie ein Jubilieren seine Freiheit, ein Sieg über die erlittene Gefangenschaft. Er erinnert an die Gestalt des Phoenix, ein Symbol der Unsterblichkeit der Seele. Und im Christentum ein Symbol der Auferstehung. Auch das Grab Jesus war leer.
- Als Vogel ist der ehemalige Junge sehr klar, zielgerichtet und aktiv. Überall wo er auftaucht erschafft er eine himmlische Stimmung, er löst höchste Freude aus. Er bringt Licht, Gesang und Schönheit, er schafft Gemeinschaft und bringt die Menschen dazu, ihm das Beste zu geben was sie besitzen.
- Er singt über sein Märtyrium, er bringt das Verbrechen an die Öffentlichkeit. Es ist wie eine Predigt, denn das Lied erzählt von einem Wunder.
- Er schafft Gerechtigkeit, jeder bekommt was er verdient:
- Die Auferstehung erfolgt mit dem Tod der Stiefmutter. Wie ein böser Zauber ist sie verschwunden. Er kehrt auf die Erde und in seine Familie zurück.
der Vater bekommt die goldene Halskette des Goldschmiedes, ein königliches Symbol, was wie eine Auszeichnung um seinen Hals fällt.
das Marlenchen bekommt rote Schuhe, sie sind besonders gut verarbeitet, weich und aus edlem Leder, sie tragen sie gut und fest durch das Leben. Auch sind sie mit der Farbe rot Symbol für Lebendigkeit, Erotik und Liebe.
Die Stiefmutter bekommt den Mühlstein, den er als Vogel leicht durch die Luft trägt, der aber am Boden so schwer ist, dass er die Frau auf einen Schlag zerdrückt.
Der Vater
- Er liebt seine erste Frau, er bekommt mir ihr lange keine Kinder. Er ist wie Josef, der auserwählt wurde mit Maria seiner Frau, Gottes Sohn zu empfangen.
- Er beweint ihren Tod, er achtet ihren Wunsch und beerdigt sie unter dem Machandelbaum.
- Er verweilt nicht in der Trauer, er nimmt sich eine neue Frau und zeugt mit ihr eine Tochter.
- Als Kaufmann geht er hinaus in die Welt, er ist mit dem Handel beschäftigt. Die weibliche und die männliche Welt sind getrennt. Haus und Hof ist das weibliche Terrain. So weiß er auch nicht was dort vor sich geht.
- Er liebt seinen Sohn und er ahnt ein Unglück, denn er fragt mehrmals nach, weshalb er sich nicht von ihm verabschiedet hat. Er wird von seiner Frau belogen. Er hat keine Möglichkeit in die häuslichen und weiblichen Intrigen vorzudringen. Auch fragt er Marlenchen warum sie weine, und versucht sie zu trösten, "er kommt doch wieder". Dieser Trost ist wohl auch an sich selbst gerichtet.
- Er isst das Fleisch seines Sohnes und sagt, das schmeckt wie sein eigen Fleisch. Das ist ein heiliges Ritual, wie aus archaischen Urzeiten. Auch Jesus hat seinen Jüngern das Brot und den Wein gereicht mit den Worten, es sei sein Leib und sein Blut. Der Sohn hat sich für den Vater, die Menschheit geopfert.
- Der Vogel löst auch in ihm eine große Erregung aus, ihm ist als ob ein alter Bekannter wiederkäme. Er erinnert sich an alte Zeiten, wo er teilhatte an einer großen Freude.
- Er bekommt von dem Vogel die goldene Kette, das ist eine hohe Auszeichnung und Würdigung. Erst an dieser Stelle im Märchen nimmt man den Vater als Oberhaupt wahr. Er ist glücklich über das Geschenk.
- Wie er an der Hand des Sohnes wieder in das Haus geht, ist es als wäre ein Alptraum beendet.
Das Marlenchen
- Sie ist die Stiefschwester des Jungen, und die Zweitgeborene. Für sie ist er einfach ihr Bruder, er gehört zu ihr, und sie bezieht ihn überall mit ein. So fragt sie ihre Mutter ob ihr Bruder nicht auch einen Apfel bekäme.
- Das Märchen hat viel Ähnlichkeit mit den Geschwistermärchen wie "Brüderchen und Schwesterchen", oder die "6 Schwäne", sie erleben zuhause ein Märtyrium.
- Beide Kinder gehen einen eigenen Entwicklungsweg, das Mädchen hilft den Bruder zu erlösen und erfährt so selbst die Erlösung. Wie sie den toten Bruder sieht, mit dem weißen festgepressten Tuch um seine Wunde, der weißen blutleeren Haut, im Kontrast den roten Apfel in der Hand, da graut es sie. Die Mutter macht sie zur Mittäterin, auf ihr Geheiss schlägt sie dem Bruder den Kopf herunter. Wie sie in die Küche läuft und um ihren Bruder klagt, geht die Mutter nicht auf den Verlust, sondern nur auf die Vertuschung der Schuld ein. Die Tränen des Mädchens aber gelten dem Verlust des Bruders.
- Das Mädchen kann bei all den Verstrickungen nicht sprechen, doch ihre Gefühle und ihre Handlungen zeigen deutlich ihre Trauer und ihre Liebe. Das Salz ihrer Tränen ist es, welche die Suppe veredelt.
- Es ist ihre Liebe, die ihr das tiefe Wissen eingibt, die Knochen des Bruders, die achtlos unter dem Tisch geworfen sind, einzusammeln, sie wie ein Heiligtum in ihr seiden Tüchlein zu binden und unter den Machandelbaum zu legen. So erlöst sie ihren Bruder und ermöglicht seine Verwandlung.
- Das Geschenk, die meisterlichen edlen Schuhe aus rotem Leder geben ihr das eigene Leben zurück. Mit ihnen fühlt sie sich froh und leicht, frei von Schuld und Trauer, der Weg ins Leben steht ihr offen. Das Rot zeigt an, dass sie zu einer starken, liebenden, jungen Frau heranwächst.