König Drosselbart, eine persönliche Deutung
Die Schönheit einer jungen Frau lockt die Freier heraus, jeder will sie haben. Doch ihr abweisendes Auftreten, ihre Beleidigungen gegenüber Männern im allgemeinen und jedem einzelnen schreckt die Masse ab, fordert aber den Einen heraus. Ihre Überheblichkeit reizt und wirft Öl in den Kampf zwischen die Geschlechter. Es gibt viele Liebes- und Tratschgeschichten in der kurzlebigen Unterhaltungswelt die das Spannungsverhältnis zwischen den Geschlechtern ausschlachten wie in "Doku-Soaps" oder in der "Regenbogenpresse".
Für den Vater ist die schöne Tochter ein Statussymbol mit dem er sich immer gerne geschmückt hat. Ihre Vermählung mit einem "hohen Tier" die er vorantreibt, wäre sein ganzer Stolz und Triumph. Dass es sich dabei nicht um Liebe, sondern Prestige handelt stellt er nicht in Frage, steht doch die ganze gesellschaftliche Ordnung und patriachale Tradition hinter ihm.Sie spürt die Erwartungen ihres Vaters, und umso mehr teilt sie Beleidigungen aus, ist sie doch vorallem auf ihren Vater böse, er hat sie verraten, dass er sie derart vorführt. Wo ist die Liebe, das stille Einvernehmen zwischen Vater und Tochter, er hat ihr immer jeden Wunsch erfüllt und will sie jetzt an irgendeinen Mann bringen? Dass sie in diesem Vater-Tochter Konflikt unter all den Freiern nicht den guten und richtigen von den lächerlichen und falschen unterscheiden kann liegt auf der Hand. Ihre Hiebe gegenüber den Männern sitzen gut, einer von ihnen ist keine Marionette, er ist ein guter König. Er hat ein körperliches Makel, ein krummes Kinn gut unter seinem Bart getarnt, sie tituliert ihn zum Drosselbart.
Dieser Name kennzeichnet ihn von nun an. Doch Hand aufs Herz, ist so eine gutplazierte Beleidigung nicht wie ein Liebespfeil den sie bewusst oder unbewusst abgeschossen hat? Der Name ist nicht nur verletzend, er ist auch durchaus heiter, wie das Kinderlied "Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar" und beschreibt die gesamte Situation, mit der Anwesenheit der herausgeputzten Edelleute und Könige sehr gut. Dennoch die Wunde sitzt tief und Drosselbart unternimmt viel um sich an der Frau seines Herzens zu rächen und gleichzeitig sie zu gewinnen. Eine gefährliche Mischung aus Liebe und Rache.Der Vater schwört, er ruft das oberste Gericht an. Der Anschlag seiner Tochter gegen die "von ihm gesetzte gesellschaftliche Ordnung" hat ihn in einen heiligen Zorn versetzt. Ihre schlimmsten Befürchtungen werden wahr, er vergibt sie an den nächstbesten Bettler. Er verstösst sie und sie erschrickt zu tiefst, alles worauf sie sich bisher verlassen hat fällt mit einem Schlag weg.
Sie ist von diesem Bettler genauso abhängig wie vorher von ihrem Vater, nur diesmal ohne die Ländereien, Besitztümer und Bequemlichkeiten. Sie wird konfrontiert mit der Armut, Hilflosigkeit und ihrem Unvermögen. König und Bettler, Vater und Partner haben nun die einzigartige Chance, nicht mit Triumph und Macht sie ins Lächerliche zu ziehen und sich Genugtuung zu verschaffen, sondern Mitgefühl zu zeigen.Denn jeder Mensch unabhängig von Rang und Namen ist ein Bettler, jemand der um Liebe bittet, nicht verlangt und befiehlt, jemand der für das Leben und ist es "nur" ein Überleben dankt und nicht anklagt oder jammert.
Die Königstochter erhält ihre innere Würde, die wie die äußere Schönheit glänzt. Die Erniedrigungen die Blamage also ist nur äußerlich, und jeder der über das Bettelweib und die verschüttete Suppe lacht hat selbst verloren. Denn nur der eitle Palast, das Ego wurde zerstört, hervorkommt aber die Bewohnerin die in einem neuen Glanz erstrahlt.Die dunkle Zeit ist vorüber, Drosselbart ein König, kunstvoller Bänkelsänger, Bettler und wütender Husar zugleich, heiratet die wunderschöne, intelligente, vom Leben verwöhnte und gleichzeitig vom Leben tief berührte Königstochter.
Wenn das keine schöne Liebesgeschichte ist, schreibe mir eine Mail danielatax@gmx.deBarbara Strehler Heubeck:
"Ich sehe in dem Tanz und dem Zerbrechen der Schale keine Demütigung. Könnte es nicht vielmehr eine Umkehr sein, der Tänzer sieht die reife Frau in ihr und verhält sich entsprechend, die Bettlerinnen Attribute sind nicht mehr nötig und zerbrechen… Vielleicht ist die Moral, das demütigen und gedemütigt werden auch in Jahrtausenden der patriarchalen Menschengeschichte ein Schema in unseren Köpfen geworden, das es abzulegen gilt?"