Interpretation; Der Fischer und seine Frau
Woher kommt das Märchen?
Die Volksmärchen "van den Fischer und siine Fru" und "van den Machandelboom" sind von Philipp Otto Runge überarbeitet und plattdeutsch aufgeschrieben worden.
Philipp Otto Runge lebte von 1777 - 1810, er war ein junger romantischer Maler und Künstler und mit den Brüdern Grimm befreundet. Durch das plattdeutsch wirkt das Märchen sehr volksnah, es wird im Norden Deutschlands gesprochen, wie in Ostfriesland und in Vorpommern, der Heimat, Philipp Otto Runges. "Daar was mal eens een Fischer un siine Fru, de waanten tosamen in'n Pispott, dicht an de See," das liegt an der Ostsee oder an der Nordsee am Wattenmeer."Vom Fischer und seiner Frau" ist untypisch für ein Volksmärchen, anstatt holzschnitzartige Bilder und karg an Adjektiven, ist es detailliert ausgeschmückt, wie ein Kunstmärchen.
- Die Übertreibungen der Frau werden überspitzt beschrieben; "zwei Reihen Lichter, das größte so dick und so groß wie der allergrößte Turm bis hinunter zum allerkleinsten Küchenlicht".
- Das Meer erhält alle reiche Farbfacetten; "das Wasser ganz violett und dunkelblau und grau und dick und gar nicht mehr so grün und gelb".
- Die Gefühle wie die, des Mannes werden genau beschrieben; "da kriegte er Angst und ging hin, ihm war aber ganz flau, und er zitterte und bebte, und die Knie und die Waden bibberten ihm."
Was ist das für ein Märchen?
Das Märchen "vom Fischer und seiner Frau" ist beängstigend und gleicht einem Albtraum. Ein Paar vertut seine Chancen und anhand ihres Beispiels steht die ganze Menschheitsgeschichte die ihre Chance vertut durch Maßlosigkeit "ich will, ich will".. . Und gleichzeitig führen sie eine Umweltkatastrophe herbei, eine Art Sintflut. Ein Albtraum, die Umweltkatastrophen zeigen es, auch heute aktuell.
Es ist ein volkstümlicher Schwank, eine Glosse und Übertreibung, wir lachen über das Ehepaar, denn uns würde so etwas niemals passieren.Es ist ein Zaubermärchen, denn der Fischer hat einen sprechenden Butt, einen verwunschenen Prinzen an der Angel. Der Fischer schenkt ihm das Leben, und gewinnt "die Erfüllung seiner Wünsche". Doch es sind nicht seine Wünsche, es sind die Wünsche seiner Frau. Im Verborgenen des Märchens, so tief wie der Grund des Meeres, wartet der Butt auf seine Erlösung.
Es ist eine politische Satire, die in der Zeit Otto Runges ihre Vorbilder in der französischen Fremdherrschaft Deutschlands fand. Die französische Sprache, die Sitten, die Verwandtschaft Napoleons, ihr Leben am französischen Hof, war für die "besetzten" Deutschen sehr befremdlich.Was geschieht, die ärmliche Situation der Fischersleute verbessert sich durch ein Wunder. Das Paar tauscht die Hütte, immer wieder in einer Zeit- und Wunschspirale ein, bishin zum Palast. Der Titel und die Befugnisgewalt der Fischersfrau wächst mit der Größe und Bedeutung der Häuser, letzlich wird sie Kaiser und Papst, von dem es nur einen in der ganzen Christenheit gibt. Sie wünscht sich das Unmögliche, selbst Gott sein und den Auf- und Untergang der Sonne zu bestimmen, anstatt erwacht sie in der alten Hütte.
Inhaltliche Interpretation
- Im Bau der Häuser spiegelt sich die Menschheitsgeschichte. Selbst Tiere bewohnen eine einfache Behausung zum Schlafen, zum Schutz vor Kälte und Nässe und zur sicheren Aufzucht der Jungen. Und beobachtet man eine Füchsin, sieht man wie bedacht sie ist, den unterirdischen Bau zu erhalten.
- Die Häuser und Titel stehen gleichbedeutend mit der hierarchischen Ordnung (Ständeordnung) zur Zeit des Feudalismus.
- Ein Haus ist ein Zuhause, ein Ort des Wohlfühlens, der Beziehung und des Zusammenlebens. Das Innere des Hauses ist vergleichbar mit der Psyche im Inneren des Menschen. Das Wohlgefühl durch Kochen, Essen und Haushalten, Erholung, Schlaf und Sexualität, das Aufwachsen der Kinder, die Versorgung der Alten. Der innere Kosmos der Bewohner, ihre "kleine" Welt.
- Der Butt und das Meer, so unerschöpflich wie die Fähigkeit zu Träumen und zu Wünschen. Sieht man sich den Fisch, den Butt an, wirkt er eigentümlich, alt, schräg und andersartig. Weshalb, er schwimmt auf der Seite, sein Auge ist auf die Oberseite gewandert, und das Maul ist schief. Günter Grass hat ihn vielfach gemalt, und auf das Titelblatt seines großen Romans "der Butt" gesetzt. Sein Roman hat das Märchen vom Fischer und seiner Frau zur Grundlage. Der Butt ein verwunschener Prinz, der Wünsche erfüllt, da stimmt etwas nicht. Denn der Butt, oder was auch immer er wirklich ist, er kennt sich mit der Gefahr beim Wünschen aus, ist er doch selbst verwunschen.
Schaut man sich in einem Heim um, erkennt man viel von seinen Bewohnern, ihrem Zusammenleben, ihrer Arbeit ihrem Umfeld. Die Nomaden lebten in Zelten aus Stangen und Leder, gewebten Stoffen oder gefilzter Wolle. Sesshafte Völker bauten feste Hütten aus dem Material, welches die Erde hergab, aus Pflanzen, tierischem Material, Lehm und Torf und natürlich Holz und Stein. Je nachdem in welcher Region der Erde gebaut wurde, schützte es vor der heißen Sonne, Regen und Wind oder dem Schnee und den kalten Wintern.
Die Behausung des Fischer und seiner Frau entspricht eher einer tierischen Behausung, es ist weniger ein wohnen, als ein vegetieren. Es stinkt zum Himmel!
Die einfachen Hütten aus Holz entsprechen den Menschen, die mit den Händen arbeiten und von den Früchten der Erde leben.
Häuser aus Stein, sind gehobener, wertvoller und beständiger, mit Nebenräumen, Vorplätzen, Stallungen und Kutschen, sind sie den Bürgern und Gutsherren vorbehalten.Schlösser und Paläste spiegeln den weltlichen Besitz durch Gold und Prunk, wertvoll verarbeiteten Steine, die Anzahl und Größe der Flure, Zimmer und Säle sowie die Vielzahl der Bediensteten. König und Kaiser, ihre Bedeutung und Macht wächst durch die Größe und Höhe des Throns, der Anzahl der Treppen und Türme, das einzigartige Gewand, und die Insignien, Zepter und Reichsapfel. Dies alles gilt es zu bewachen, durch Mauern, Truppen und Wachen.
Letztlich der Papst, es gibt nur einen in der ganzen Christenheit, ihm ist die Macht von Gott gegeben, ihm ist das ganze Volk zu Diensten, selbst die weltlichen Machthaber, müssen sich ihm unterordnen.Das Märchen "vom Fischer und seiner Frau" zeichnet eine Art Kulturgeschichte der Menschen. Es überzeichnet und legt die Dekadenz frei, an der Spitze der Hierachie ist nur Prunk und Titel aber innen ist es hohl, ohne Kraft und kluge Führung. Und unten ist das einfache Volk, wie der Fischer und seine Frau, sie arbeiten in ärmlichen Verhältnissen, sie haben keine Zukunft. Da hilft kein Wunder.
Alle Titel, angefangen vom Fischer, bishin zum König, Kaiser und Papst bilden die patriachale Gesellschaft ab, in der nur Männer diese Ämter ausfüllen. Das eine Frau diese Titel erwirbt ist ein größeres Wunder, wie das Auftauchen des Butts.Die Frau des Fischers empfindet die Fischerhütte eklig, eine Behausung, die täglich die gleichen Mühen und Ärgernisse einfordert, ohne Aussicht auf Verbesserung. Die Frau vom Fischer ist wie eine Gefangene im Haus und hat nur Macht in der Beziehung zu ihrem Mann, demgegenüber ist sie ein Feldwebel.
Der Fischer ist meist draussen an der nahen See, er schaut und schaut, angelt und angelt... . Sein Leben ist eng verbunden mit dem Meer. Für ihn erfüllt die einfache Fischerhütte seine Bedürfnisse, er ist zufrieden wäre da nicht seine Frau.Der Fischer kommt mit leeren Händen heim, er hat ihr nichts zu bieten, die Frau ist enttäuscht.
Die Unterhaltung zwischen dem Fischer und seiner Frau ist einfach und linear, sie fragt, er antwortet. Er erzählt von seinem ungewöhnlichen Fang, sie fragt nach, hast du dir nichts gewünscht...., er antwortet wieder, sie schickt ihn zum Fisch er möge sich ein schönes Haus wünschen, er weicht aus, sie fordert ihn immer wieder auf, bis er nachgibt.
Sie ist unzufrieden und sieht eine Chance die materielle Situation verbessern. Der Fischer möchte nichts verändern, er legt auf ihre Anfrage einen Recheanschaftsbericht ab, ihm war die Begegnung mit dem Butt genug, aber er ist konfliktscheu.So eine Mann-Frau Beziehung erschöpft sich schnell, es kommt zum Exzess und es bleibt ein trauriges Resümee.
So ein in sich gefangenes Paar, ergäbe bestimmt kein Märchen, niemand wollte deren Geschichte hören, zu Vieles erinnert schmerzlich an die eigenen ungenutzten Chancen, an die Übellaunigkeit, das schlechte Gewissen, die Angst vor Konflikten - wäre da nicht der Butt.Wie der Fischer sitzt, angelt und in das klare Wasser schaut angelt er den Butt, der Fischer hat Zugang zu den schöpferischen Kräften, der Butt spricht mit ihm. Einen sprechenden Fisch "werde ich wohl schwimmen lassen," sagt der Fischer, er kann Phantasie und Wirklichkeit auseinanderhalten und lässt den Butt zurück ins Wasser, ins Unbewusste gleiten.
Sollte man wie der Fischer mit Wünschen umgehen, sie aufsteigen lassen, mit ihnen sprechen und sie wieder ziehen lassen. Was gewinnt man damit, innere Zufriedenheit, ein tiefes Erlebnis und Freiheit.Das schlechte Gewissen, das der Fischer immer wieder mit den Wünschen seiner Frau zum Butt trägt, ist wie die Eintrübung und das Aufwühlen des Meeres, er kennt die Gefahr, er kann sie nicht aufhalten. Er ist mit seiner Frau verbunden, sie ist seine andere Seite, die mit der Wirklichkeit hadert und zweifelt, die kämpft und um Wohlstand, Prestige und Macht ringt. Auf Kosten des Zaubers und des inneren Friedens.
Sich etwas wünschen ist schwierig, und führt in die Not, die einfache Erfüllung von Wünschen macht nicht glücklich, sondern treibt die Wunschspirale immer wieder aufs Neue an. So geschieht es anschaulich mit der "Ilsebill" seiner Frau. Er sieht sie genau an, erkennt ihren Status an, "Kaiser steht dir gut" und stellt ihr immer wieder die gleiche Frage, "bist du jetzt zufrieden"? Aber die Zufriedenheit stellt sich nicht ein.
Der Fischer weiß es, der materielle Wohlstand erzeugt keine Zufriedenheit, kein Glück. Und doch geht er immer wieder hin zum Butt und überbringt die Wünsche seiner Frau.
Butt und Fischer sind eins, sie sind geduldig, alt und weise, sie wissen, es ist eine Gesetzmäßigkeit, die Wunschspirale endet erst wenn alles wieder zusammengebrochen ist. So ist es auch mit einem Süchtigen, einem Alkoholiker, einem Spieler, im Konsumrausch oder bei einer Fress- und Kotzattacke, die Süchtigen wissen um ihren Irrweg, können aber dennoch nichts ändern, treiben die Spirale an um endlich den Zusammenbruch herbeizuführen.Der Butt ist die Verheißung des Glücks, er ist verwunschen, er ist ein Prinz, einer der erzählen kann von Erfüllung und Erleuchtung, einer der einmal glücklich und erfüllt gewesen war. Damit trägt er die Hoffnung in sich, alt und gleichzeitig ein Kind, neu geboren. Vielleicht ist er das Kind des Fischers und seiner Frau, der Ilsebill, ihre gemeinsame Schöpfungskraft, Ausdruck ihrer Möglichkeiten.
Angenommen einem selbst begegnet ein sprechender Fisch, wäre er nicht ein Beweis für ein Wunder, etwas das ausserhalb des eigenen Vorstellungsvermögens liegt, etwas womit man nicht rechnen kann, ein Beweis für eine göttliche Instanz.Und unabhängig ob man dieses Wunderbare in sich, oder ausserhalb seiner selbst zu erkennen glaubt, es entledigt der ewig lastenden Sorge, "etwas in dieser Welt erreichen zu müssen". Es gibt eine höhere Ordnung, eben über König, Kaiser, Papst. Es regt an den Weg der Bewertung zu verlassen und anstatt den Weg des Seins zu gehen. Anstatt wie Ilsebill selbst den Lauf der Gestirne wissen und kontrollieren zu wollen, den Tag mit dem Aufgang der Sonne zu begrüßen, sich überraschen zu lassen was der Tag bringen wird, am Ende des Tages den Sonnenuntergang zu bestaunen und sich bei Dunkelheit vertrauensvoll dem Schlaf zu überlassen.