Der Wolf und die sieben jungen Geißlein
Aus der Sammlung der Brüder Grimm
Der Wolf und die sieben jungen Geißlein ist schon für die Jüngsten ab 4 Jahren eine wunderbare Geschichte zum Nachspielen. Die einzelnen Rollen sind in wörtlicher Rede und in jeweils einer Farbe gekennzeichnet: Die Geißenmutter, Geißenkinder, der Wolf, Geißenkind jüngstes, der Müller, Neben den Figuren gibt es noch die Erzählerin, die im Gegensatz zu den einzelnen Rollen ruhig und distanziert spricht.
der Text
Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein und hatte sie lieb wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen; da rief sie alle sieben herbei und sprach: "Liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf eurer Hut vor dem Wolf; wenn er hereinkommt, so frißt er euch alle mit Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen".
Die Geißenkinder antworteten: "Liebe Mutter, wir wollen uns schon in acht nehmen, ihr könnt ohne Sorgen fortgehen."
"mäh!" meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg.
Es dauerte nicht lange da klopfte jemand an die Haustür und rief:"Macht auf ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!
Aber die Geißenkinder hörten an der rauen Stimme, daß es der Wolf war. "Wir machen nicht auf, du bist unsere liebe Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rau; du bist der Wolf!"
Da ging der Wolf fort und zu einem Krämer und kaufte sich ein großes Stück Kreide - die aß er und machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an und rief: "Macht auf ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat euch allen etwas mitgebracht".
Der Wolf hatte aber seine schwarze Pfote in das Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen: "Wir machen dir nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du; du bist der Wolf!"Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sprach: "Ich habe mich an den Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber!"
Und als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, so lief er zum Müller und sprach: "Streu mir weißes Mehl über die Pfote!"Der Müller aber dachte sich: "Der Wolf will einen betrügen." und weigerte sich.
Aber der Wolf sprach: "Wenn du es nicht tust, so fresse ich dich."Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß. Ja so sind sie die Menschen.
Nun ging der Bösewicht zum dritten Mal zu der Haustüre, klopfte an und sprach: "macht mir auf Kinder, euer Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Walde mitgebracht."
Die Geißchen riefen:"Zeig uns erst deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes Mütterchen bist!"
Da legte er die Pfote ins Fenster, und als sie sahen, daß sie weiß war, glaubten sie, es wäre alles wahr, was er sagte, und machten die Türe auf. Wer aber hereinkam war der Wolf.Da erschraken sie und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte kein langes Federlesen: eins nach dem andern schluckte er in seinen Rachen; nur das Jüngste in dem Uhrkasten, das fand er nicht. Als der Wolf seinen Hunger gestillt hatte, trollte er sich fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum und fing an zu schlafen.
Nicht lange danach kam die alte Geißenmutter aus dem Walde wieder heim. Ach was mußte sie da erblicken! Die Haustür stand sperrweit offen - Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decke und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgends waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander beim Namen, aber niemand antwortete. Endlich, als sie an das jüngste kam, da rief eine feine Stimme: "Liebe Mutter ich stecke im Uhrenkasten."
Sie holte es heraus und es erzählte ihr: "Der Wolf war gekommen und hat all die anderen gefressen."Da könnt ihr denken wie sie über ihre armen Kinder geweint hat.
Endlich ging es hinaus und das jüngste Geißlein ging mit. Als sie auf die Wiese kam, lag da der Wolf unter einem Baum und schnarchte, daß die Äste zitterten. Sie betrachtete ihn von allen Seiten und sah, daß in seinem angefüllten Bauch sich etwas regte und zappelte.
Sie dachte:"Sollten meine armen Kinder, die er heruntergewürgt hat, noch am Leben sein?"
Da mußte das Geißlein nach Hause laufen und Schere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt sie dem Ungetüm den Wanst auf, und kaum hatte sie einen Schnitt getan, so streckte schon ein Geißlein den Kopf heraus, und als sie weiterschnitt, da sprangen nacheinander alle sechse heraus und waren noch alle am Leben und hatten nicht einmal Schaden genommen. Das Ungetüm hatte es in seiner Gier ganz hinuntergeschluckt. Das war eine Freaude! Da herzten sie ihre liebe Mutter und hüpften wie ein Schneider, der Hochzeit hält.Die Alte aber sagte:"Jetzt geht und sucht Wackersteine, damit wollen wir dem Tier den Bauch füllen, solange er noch im Schlafe liegt."
Da schleppten die sieben Geißchen in aller Eile die Steine herbei und steckten sie ihm in den Bauch, soviel sie hineinbringen konnten. Dann nähte ihn die Alte mit solch einer Geschwindigkeit wieder zu, daß er nichts merkte und sich nicht einmal regte.
Als der Wolf endlich ausgeschlafen war, machte er sich auf die Beine, und weil ihm die Steine im Magen so großen Durst erregten, wollte er zu dem Brunnen gehen und trinken. Als er aber anfing zu gehen und sich hin und her zu bewegen, stießen die Steine in seinem Bauh aneinander und rappelten. Da rief er:"Was rumpelt und pumpelt in meinem Bauch, ich dacht es wären sechs Geißlein, so sind es lauter Wackerstein." Und als er zum Brunnen kam und sich über das Wasser bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine hinein, und er mußte jämmerlich ersaufen.
Als die sieben Geißlein das sahen, da kamen sie herbeigelaufen, riefen laut:"Der Wolf ist tot, der Wolf ist tot!"
Und tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum.